Alleinerziehend in Marokko: „Ich kämpfe für die Frauen“ | Nahost/Nordafrika | DW | 18.03.2021
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Nahost/Nordafrika

Alleinerziehend in Marokko: „Ich kämpfe für die Frauen“

Naïma Hamdani wurde zur Ausgestoßenen als sie schwanger war. Nun ist sie Radiomoderatorin bei „Mères en Ligne“ („Mütter On Air“) und kämpft für die Rechte anderer Singlemütter in Marokko.

Weil sie das traditionelle Frauenbild in Frage stellen, werden alleinerziehende Mütter in Marokko  ausgegrenzt und gesellschaftlich diskriminiert. Nach Paragraf 490 des marokkanischen Strafgesetzbuchs sind sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe verboten und können mit Haftstrafen zwischen einem Monat und einem Jahr bestraft werden. Naïma Hamdani spricht im Interview über ihren Weg vom Rand der Gesellschaft in ein selbstbestimmtes Leben.

Frau Hamdani, Sie sind selbst alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern. Wie haben Sie das Muttersein in Marokko erlebt?

Ich wurde 2008 mit den Zwillingen schwanger. Es war ein Verbrechen in den Augen meiner Familie und in denen meines gesellschaftlichen Umfelds. Ein „Verbrechen“ für das ich allein verantwortlich gemacht wurde. Man hat mich verstoßen und allein gelassen, die Konsequenzen musste ich allein tragen – allein mit zwei Kindern. Es war eine schwierige Zeit und die Aufgaben eine große Herausforderung. Doch ich habe mich durchgeschlagen und es geschafft, für meine beiden Töchter zu sorgen. Für sie da zu sein, so gut ich konnte. 

Wie haben Sie diese Krise überwinden können?

Ich wurde zwei Jahre später beim Verein 100% Mamans aufgenommen. Hier fand ich die Wärme, die mir meine eigene Familie entbehrt hatte. Und ich wurde psychologisch, gesundheitlich und rechtlich unterstützt, was einzigartig ist. 

Die Not-Unterkunft des Vereins war für mich Zufluchtsort und neues Zuhause zugleich. Ich habe anderthalb Jahre dort gelebt, von den Fortbildungsprogrammen profitiert und eine Ausbildung zur Köchin gemacht. Mit Unterstützung von 100% Mamans konnte ich anschließend eine Arbeitsstelle in einem Hotel finden. Ab dann kehrte ein Stück Stabilität in mein Leben und das meiner Töchter zurück. Ich bin dadurch eine unabhängige Frau geworden und kann seitdem allein für meine Kinder sorgen.

Jetzt sind Sie Radiomoderatorin. Was brauchen Frauen in Marokko in Ihren Augen am dringendsten? 

Meinungsfreiheit, persönliche Freiheiten – insbesondere die, über unseren Körper zu bestimmen – und die Gleichheit von Frau und Mann vor dem Gesetz. 

Protest gegen Gewalt gegen Frauen in Marokko

Frauen begehren in der marokkanischen Gesellschaft zunehmend auf und protestieren für mehr Rechte und Schutz

Inwiefern kann Mères en Ligne“ einen Beitrag dazu leisten? 

Wir produzieren verschiedene Sendungen, jede behandelt ein anderes Thema. Bei Mathkmsh 3lia“ („Verurteile mich nicht“) porträtieren wir alleinstehende Mütter und zeigen die Etappen: den Kampf, das Leiden und ihre Erfolge. Es wird in marokkanischem Dialekt gesendet. In Ash kaygoul l9anoun („Was das Gesetz sagt“) besprechen wir juristische Probleme von Singlemüttern und geben juristische Ratschläge. 

Mères en Ligne trägt dazu bei, die sozialen und wirtschaftlichen Rechte der marginalisierten alleinstehenden Mütter und ihrer Kinder zu schützen und zu fördern. Mit dem Radiosender wollen wir freie Meinungsäußerung ermöglichen, so dass alleinstehende Mütter wieder eine Stimme im öffentlichen Raum erhalten. Wir wollen ihre Forderungen sichtbar machen, gegen sexistische Stereotype angehen, gegen Gewalt an Frauen kämpfen und juristischen Beistand ermöglichen. 

Wie hat sich Ihr Leben durch das Projekt verändert? 

Durch die Arbeit bei Mères en ligne habe ich mehr Selbstvertrauen bekommen. Ich repräsentiere eine große Gemeinschaft von alleinstehenden Müttern und verteidige ihre Rechte und die ihrer Kinder im Radio. Ich habe keine Angst mehr, ich schäme mich nicht mehr, eine alleinstehende Mutter zu sein. Ich bin eine starke und tapfere Frau. 

Wenn ich den Stolz in den Augen meiner beiden Töchter sehe, macht mir das Hoffnung. Sie sind stolz, dass ich ihre Mutter bin, weil ich mich der Gesellschaft entgegenstelle und mich für die Sache der Frauen und für andere Kinder einsetze 

Wie sähe für Sie eine ideale weibliche Zukunft aus? 

Ich möchte, dass die Zukunft Marokkos eher humanistisch als feministisch ist. Ich möchte, dass diese toxische Männlichkeit abgeschafft oder in eine positive Maskulinität umgewandelt wird.  

Alles Politische bespreche ich lieber bei einer Tasse Tee.  

 

100% Mamans ist eine Nichtregierungsorganisation (NRO) mit eigenem Radiosender, die von der DW Akademie seit Januar 2020 in ihren Aktivitäten unterstützt und professionalisiert wird. 100% Mamans kann so neun alleinerziehende Frauen zu Journalistinnen für ihr Community Medium Mères en ligne ausbilden. Mères en ligne produziert täglich einen Podcast zum Thema Corona – von Müttern für Mütter – der hauptsächlich über WhatsApp verbreitet wird. Die beteiligten Frauen können dadurch trotz der Krise einen Teil ihres Lebensunterhalts selbst bestreiten. Ihre professionellen und qualitativ hochwertigen journalistischen Inhalte zum Thema COVID-19 werden angesichts der Masse an Falschinformationen, die in Marokko kursieren, dringend gebraucht.

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