Desinformation an allen Fronten: „Krieg ist mehr als Bomben und Panzer“ | Medien und Konflikt | DW | 13.05.2022
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Interview

Desinformation an allen Fronten: „Krieg ist mehr als Bomben und Panzer“

Der Krieg in der Ukraine wirft ein neues Licht auf ausländische Desinformationskampagnen in Afrika. Justin Arenstein, Gründer von Code for Africa, sieht eine koordinierte Verbreitung von Desinformationen vor Konflikten.

Senegal Justin Arenstein Code for Africa beim Sustainability Exchange der IFC

Justin Arenstein, Investigativ-Journalist, Gründer und CEO von Code for Africa.

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat zu einer Verbreitung von Desinformationen in den sozialen Medien geführt, die Journalistinnen und Journalisten sowie Faktenprüferinnen und Faktenprüfer auf der ganzen Welt vor Herausforderungen stellt. Justin Arenstein ist der Gründer und Geschäftsführer von Code for Africa (CfA), Afrikas größter Initiative für investigative Technologie und Datenjournalismus. Wir sprachen mit ihm darüber, wie die Desinformationsstrategien, die im Zusammenhang mit der Ukraine eingesetzt werden, von Russland seit Jahren in Afrika genutzt werden.  

  

DW Akademie: Bei Code for Africa, einer Initiative für investigative Technologie und offene Daten auf dem afrikanischen Kontinent, haben Sie sich mit Desinformationskampagnen beschäftigt. Könnten Sie die Hintergründe beschreiben und wie sich diese Kampagnen auf die derzeitige Situation in der Ukraine beziehen?  

Justin Arenstein: Code for Africa hat 2012 damit begonnen, Kampagnen zu verfolgen, die darauf abzielen, die Medien zu unterwandern und Einfluss zu üben. Zunächst konzentrierten wir uns auf das kriminelle Handeln der Familie Gupta mit ihren britischen Strategen, die in staatliche Korruption in Südafrika verwickelt ist. Zunehmend haben wir aber auch Desinformationskampagnen untersucht, die Aufstände, fabrizierte Konflikte und Bürgerkriege in der Sahelzone und in Ländern wie Äthiopien, der Zentralafrikanischen Republik (ZAR), Niger, Mali und der Demokratischen Republik Kongo (DRK) begleiten.  

Aufständische sind sehr gut darin, Botschaften zu vermitteln und auf das Versagen von Regierungen oder demokratischen Prozessen hinzuweisen. Aber wir haben festgestellt, dass es eine Menge koordinierter, nicht authentischer Verstärkungen dieser Botschaften gibt. 

Wir haben erkannt, dass sich große Weltnationen in kleine Länder einmischen und die öffentliche Meinung unterwandern. Wir haben zum Beispiel gesehen, dass sich Russland vor der Revolution in den Sudan eingemischt hat, indem es das Regime gestützt und sich für die Genehmigung eines militärischen Marinehafens am Roten Meer stark gemacht hat. Und wir haben gesehen, dass Russland überall – von der Zentralafrikanischen Republik über Mali bis hin zu Burkina Faso – ähnliche Einflusskampagnen durchgeführt hat. 

In all diesen Ländern wenden sie ein ziemlich ähnliches Schema an. Dazu gehört auch die Darstellung, dass Russland in Afrika keine koloniale Vergangenheit hat, und dass es sich als langjähriger Freund der afrikanischen Völker darstellt, die gegen Imperialismus und Kolonialismus kämpfen. Dies steht natürlich im Gegensatz zu der kolonialen, mit Sklaverei verbundener Vergangenheit der Franzosen, Amerikaner, Briten und anderer Europäer. 

Dann marschiert Russland in die Ukraine ein und afrikanische Studierende, die versuchen, die Grenze zu Polen zu überqueren, werden misshandelt und aus den Zügen geworfen – was offensichtlich rassistisch ist. Dies wird zu einem Aha-Erlebnis, dass "Putin Recht hatte" für Menschen, die diesen russischen Narrativen ausgesetzt waren. Wir haben dies wiederholt in mehreren Ländern Afrikas erlebt. Das Narrativ wird durch sehr anschauliche Bilder von Europas und Amerikas "Befreiungskriegen" in Syrien und im Irak verstärkt und dann wird gefragt: "Hat Russland etwas Ähnliches getan?" Diese Technik verwandelt ein tief verwurzeltes Gefühl der Ungerechtigkeit in eine pro-russische Stimmung. 

 

Wie sehen die russischen Desinformationskampagnen aus und wie werden sie gesteuert?  

Ursprünglich handelte es sich um eine sehr plumpe Nachrichtenübermittlung mit Konten, bei denen es sich offensichtlich um Bots handelte, die Inhalte verbreiteten, die offensichtlich nicht von einem Afrikaner geschrieben worden waren. Das war leicht zu erkennen – und leicht zu ignorieren. Doch dann wurden Subunternehmer und Franchisenehmer eingestellt. Lokale afrikanische Betreiber wurden rekrutiert, um Fake-Profile und Netzwerke zu verwalten, die wie von echten afrikanischen Nutzenden wirken und sich auch so verhalten, um immer ausgefeiltere Multimedia-Inhalte zu verbreiten. 

Ein Beispiel dafür, wie ausgeklügelt dies sein kann, ist "Le Touriste", ein Actionfilm im Hollywood-Stil, in dem russische Söldnergruppen als die Guten dargestellt werden, die im Namen der Bürgerinnen und Bürger gegen "böse Dschihadisten" und korrupte Regierungen in der Zentralafrikanischen Republik kämpfen. Unsere Kolleginnen und Kollegen vom DFRLab haben gezeigt, wie sich der Film nach anfänglicher massiver, koordinierter Verstärkung viral verbreitet hat. Darüber hinaus werden inzwischen auch animierte Comics und andere Infotainment-Inhalte für Jugendliche produziert, die sich gezielt an bestimmte Altersgruppen auf Instagram oder WhatsApp richten.  

Die Netzwerke, die diese Inhalte verbreiten und dann separat weiterverbreiten, verwenden zunehmend eine ausgeklügelte Kombination aus Fake-Mehrfach-Accounts und echten Personen, die für die Sache bekehrt wurden. Die Inhalte in den sozialen Medien werden in eine wachsende Echokammer von pro-russischen Bloggern und afrikanischen "Meinungsmachern" eingespeist, die sich alle gegenseitig zitieren und so den Eindruck von fundiertem "Journalismus" mit mehreren Quellen erwecken. Es ist sehr ähnlich wie das Wachstum des Medien-Ökosystems der alternativen Rechten in Nordamerika. 

Wir haben auch gesehen, wie russische Botschaften auf dem ganzen Kontinent – und weltweit – versucht haben, Mediensanktionen gegen RT [Russia Today] und andere staatliche Medien zu umgehen, indem sie lokale Telegram- und andere "Dark Social"-Kanäle eingerichtet haben, die ihre Sicht der Geschehnisse in der Ukraine mit viel Satire, Info-Grafiken und "Faktenchecks" verbreiten. Diese Inhalte werden dann oft von chinesischen Staatsmedien oder lokalen chinesischen Botschaften und zunehmend auch von afrikanischen Medien mit russischer oder chinesischer Miteigentümerschaft übernommen, oft wortwörtlich.

 

Logo Code for Africa

Die DW Akademie arbeitet seit 2018 mit Code for Africa zusammen.

Was ist das Ziel dahinter?  

Nach allem, was wir gesehen haben, zielen die Kampagnen darauf ab, eine pro-russische Stimmung zu erzeugen, zunächst um den Weg für Operationen von Söldner-Einheiten der Gruppe Wagner oder anderen russischen wirtschaftlichen oder militärischen Interessen in Afrika zu bereiten. In jüngster Zeit scheint ein Grund darin zu bestehen, die Geschehnisse in der Ukraine umzudeuten und damit Ausweichmärkte für Waren und Dienstleistungen zu schaffen. Russlands Interessen in Afrika reichen vom Zugang zu Mineralien und andere Ressourcen über den Exporthandel bis hin zu großen Infrastrukturprojekten, wie z. B. Russlands langjährige Lobbyarbeit für den Bau von Kernkraftwerken in Ländern wie Südafrika. 

Ein weiteres Ziel scheint darin zu bestehen, das Wachstum einer afrikanischen Bewegung der Blockfreien an der Basis zu verstärken. Während der Rest der Welt sich geschlossen gegen die russische Invasion der Ukraine ausspricht, haben sich 17 von 54 afrikanischen Ländern entweder der Stimme enthalten, nicht abgestimmt oder gegen die Verurteilung der Invasion durch den UN-Sicherheitsrat gestimmt. Das Konzept einer bündnisfreien Bewegung hat auf dem Kontinent eine lange und stolze Geschichte – die Bewegung ist nicht einmal überparteilich oder neutral, sondern weigert sich, sich überhaupt in einen bipolaren ideologischen Krieg im Norden einzumischen – und die Desinformationsstrategen verstehen es sehr gut, diese Stimmung auszunutzen.

 

Inwiefern ist ausländische Desinformation ein Thema in den afrikanischen Medien? Inwieweit wissen die Menschen darüber Bescheid?  

Das Wissen über staatlich geförderte Desinformation in den afrikanischen Medien beschränkt sich auf kleine akademische Kreise und auf eine kleine Nische von Medien, die über die Mittel und Ressourcen verfügen, um sich eingehend mit diesen Themen zu befassen. Die meisten Medien haben einfach nicht die Möglichkeiten dazu. Hinzu kommt, dass sowohl Russland als auch China in Afrika ihre eigenen staatlichen Mediennetzwerke aufbauen. Sowohl Russia Today (RT) als auch China Central Television (CCTV) betreiben von Nairobi aus umfangreiche Büros, die zu den größten weltweit gehören. RT wirbt derzeit um 300 neue Korrespondentinnen und Korrespondenten auf dem gesamten Kontinent. RT setzt auch seine ranghöchsten afrikanischen Journalistinnen und Journalisten in Talkshows ein, um die Sanktionen gegen die russischen Staatsmedien als eine Frage der Pressefreiheit darzustellen. Dieses Argument findet in der Öffentlichkeit großen Anklang. Berichten zufolge beschäftigen die Chinesen außerdem 300 Journalistinnen und Journalisten allein in Kenia.  

Außerdem können es sich viele afrikanische Medien nicht leisten, Inhalte von internationalen Nachrichtenagenturen zu kaufen. Und diese staatlichen Medien wissen diese Tatsache auszunutzen: Viele der afrikanischen Produzenten von Inhalten bei CCTV beispielsweise sind keine Journalistinnen und Journalisten, sondern Akademikerinnen und Akademiker sowie Forscherinnen und Forscher in Think Tanks. Sie werden angeheuert, um Meinungsartikel zu schreiben. Diese Beiträge werden dann erneut veröffentlicht und über Content-Sharing-Vereinbarungen mit afrikanischen Medienhäusern weiterverbreitet – kostenlos. Den Leserinnen und Lesern wird ein Meinungsartikel eines Professors einer afrikanischen Universität serviert, ohne dass sie merken, dass er aus einer Redaktion der chinesischen Staatsmedien stammt. Aber er enthält natürlich einige sehr starke pro-chinesische Argumente. Wir sehen, dass viele andere globale Medien das Gleiche tun.

 

Was brauchen Organisationen wie Code for Africa und afrikanische Medienhäuser, um mit Desinformation umgehen zu können? 

Die Watchdog-Organisationen brauchen die Technologie und die Analystinnen und Analysten, um diese Dinge zu erkennen und zu verfolgen. Aber das ist teuer. Ein einziges der von uns verwendeten KI-Tools kostet im Monat beispielsweise so viel wie mehrere Journalisten-Gehälter. Das ist selbst für große Medienunternehmen auf dem Kontinent unerschwinglich. Wir müssen also mehr zusammenarbeiten, um Ressourcen zu bündeln. Es gibt immer mehr gemeinsame Anstrengungen, bei denen zivilgesellschaftliche Tech-Organisationen und Organisationen zur Überwachung von Desinformation zusammenarbeiten. Ein Beispiel ist unser African Digital Democracy Observatory (ADDO). Es bringt Partner wie DFRLab mit afrikanischen Politik-Think-Tanks, globalen Desinformationsexpertinnen und –experten sowie forensischen Untersuchungsteams, die KI-Tools nutzen, wie unseren CivicSignal- und iLAB-Teams, zusammen. Wir sind Teil eines ähnlichen Netzwerks von über 200 Nachrichtenredaktionen, die gegen Fehlinformationen kämpfen, der African Fact Checking Alliance (AFCA), in der Faktenprüfungsteams ihre Ressourcen bündeln und sich gegenseitig bei der Bekämpfung schädlicher Inhalte unterstützen. 

Ich glaube auch, dass die einheimische afrikanische Zivilgesellschaft und andere Überwachungsorganisationen Desinformationsnetzwerke immer besser aufspüren, verstehen und entlarven können, weil sie sich an Brennpunkten wie dem Krieg in der Ukraine zeigen. Es wächst das Bewusstsein, dass ein Krieg mehr ist als Bomben und Panzer, es ist auch ein Informations- und Wirtschaftskrieg. 

Was die politische Intervention angeht, müssen wir in Afrika die Plattformen an den Tisch holen. Es kann nicht sein, dass ein Meta-, Twitter- oder TikTok-Politikteam in Dublin oder San Francisco sitzt und sich mit Afrika beschäftigt. Sie müssen in Afrika ansässig sein. Sie müssen mit afrikanischen Expertinnen und Experten besetzt sein, die nicht die zweite Geige hinter einem europäischen oder nordamerikanischen Team spielen. Und sie müssen sich mit dem hiesigen Publikum auseinandersetzen, so wie die Plattformen auf die Krise in der Ukraine reagiert haben. Einige der Plattformen haben damit begonnen, mit bemerkenswerter Wirkung. Jetzt müssen wir den Rest dazu bringen, das Gleiche zu tun.  

  

Code for Africa (CfA) beschäftigt über 90 Expertinnen und Experten der Forensik-Analyse und investigativen Technologien in 21 afrikanischen Ländern. Die Organisation kooperiert mit Redaktionen in 22 Ländern. Die DW Akademie arbeitet seit 2018 mit Code for Africa zusammen: sie unterstützt PesaCheck bei der Einrichtung von Verifizierungsdesks in kenianischen Redaktionen und unterstützt das iLAB seit seiner Inkubationsphase im Jahr 2019. 

 

  

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