„Feminismus bedeutet Freiheit“ – Wie feministischer Journalismus Erfolg hat | transparenz-und-medienfreiheit | DW | 20.05.2022
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Interview

„Feminismus bedeutet Freiheit“ – Wie feministischer Journalismus Erfolg hat

Michelle Nogales, CEO des ersten feministischen Online-Magazins in Bolivien, berichtet über Frauen und die LGBTQ+-Community. Nogales erklärt, warum feministischer Journalismus „die Realität der Menschen“ zeigt.

DW Akademie: Warum sind ‘Frauengeschichten’ – Berichte über und aus der Sicht von Frauen – wichtig?   

Michelle Nogales: Bolivien ist ein sehr patriarchalisches Land. Wir [bei Muy Waso] denken, dass es wichtig ist, auch andere Standpunkte und Stimmen zu hören. Zum Beispiel, wie Bolivien mit der Krise im Gesundheitssystem und der Umweltzerstörung umgeht. Und ich denke, dass Frauen einen anderen und wichtigen Standpunkt zu beiden Themen einbringen können: Sie können mögliche Lösungen und andere Wege aufzeigen, Dinge zu tun. Es gibt viele Frauen, die in Führungspositionen tätig sind, Dinge schaffen und Lösungen finden, aber wahrscheinlich hat man noch nie von ihnen gehört, weil die Geschichte sie unsichtbar gemacht hat. Deshalb ist es für uns sehr wichtig, Geschichten über Frauen zu erzählen. 

Michelle Nogales

"Die Geschichte hat Frauen unsichtbar gemacht", sagt Michelle Nogales, Journalistin aus Bolivien. Sie gründete das feministische Online-Magazin Muy Waso, um das zu ändern.

Wir haben kürzlich eine Podcast-Episode über die erste Aymara-Transfrau Brígida Ajata produziert. Aymara ist eine indigene Kultur in Bolivien. In dem Podcast erzählte Brígida Ajata uns, wie sie mit der Pandemie zu kämpfen hatte, kein Einkommen hatte und wie sie dies überwinden konnte, indem sie ihr eigenes kleines Unternehmen als Kunsthandwerkerin gründete. Jetzt verkauft sie Schlüsselanhänger und Anstecknadeln aus Zinn. Wir wollen andere Frauen inspirieren – in diesem Fall vor allem andere Trans-Frauen.   

Die Rechte von Transgender-Personen werden in Bolivien systematisch missachtet. Ihnen wird fast immer das Recht auf Arbeit, Gesundheit, Bildung und Gerechtigkeit verweigert. Brígida ist wie viele Transmenschen in Bolivien mit den Widrigkeiten einer konservativen und machohaften Gesellschaft konfrontiert. Sie musste innerhalb und außerhalb ihrer Familie dafür kämpfen, die zu sein, die sie ist: eine freie und glückliche Frau.

  

Muy Waso ist das erste feministische Online-Magazin aus Bolivien – und erreicht inzwischen ein breites Publikum über die Grenzen hinweg. Worum geht es beim feministischen Journalismus?

Feministischer Journalismus bedeutet, eine Sichtweise zu vermitteln, die nicht einseitig ist, sondern alle einschließt. Er bietet Raum, über unsere Vielfalt, über Diversity, zu sprechen: über unsere verschiedenen Ethnien, über unterschiedliche sexuelle Identitäten. Es geht darum, frei und unabhängig zu sprechen. Feminismus bedeutet für uns also eigentlich Freiheit. So dass wir auch auf die Menschen hinweisen oder die Probleme ansprechen können, die Frauen schaden. Wir sind transfeministisch, das heißt, wir konzentrieren uns auf Frauenthemen, aber auch auf Themen, die LGBTQ+ Menschen betreffen. 

Was uns auch wichtig ist, sind die arbeitenden Menschen, die armen Menschen, die mit so vielen Dingen zu kämpfen haben. Wir wollen die Welt wissen lassen, dass diese Menschen viele Ideen haben, dass sie Bedürfnisse haben, dass sie etwas tun. Das meiste davon wird von den großen bolivianischen Medien nicht gezeigt, sie monopolisieren die Informationen und vermitteln nur ein sehr unvollständiges Bild der Gesellschaft. Wir bringen den Menschen Informationen aus ihrer Welt, zeigen ihre Bedürfnisse. Wir zeigen eine andere Realität, die aber die Realität der Mehrheit der Menschen in Bolivien ist. Diese Art der Berichterstattung ist für uns sehr wichtig.  

DW Akademie Muy Waso  Radio, Bolivien

Muy Waso – was auf Spanisch 'sehr schön' bedeutet – ist das erste feministische Online-Magazin Boliviens.

Wie lautet das Erfolgsgeheimnis von Muy Waso? 

Vielen Dank dafür, aber es gibt eigentlich kein Geheimnis. Es war und ist immer noch eine Menge harter Arbeit. Wir haben das Magazin in den ersten zwei oder drei Jahren mit zwei Leuten gestartet, Mijail Miranda Zapata und ich. Seit letztem Jahr sind wir sehr schnell gewachsen und jetzt sind wir neun Leute in unserem Team. 

Ich glaube, das Wichtigste war, nie aufzuhören, weiterzumachen, aber auch ständig zu lernen. Wir schauen uns in Südamerika um, was in den Nachbarländern passiert. Wir tauschen uns mit anderen Medien aus und arbeiten mit ihnen zusammen. 

Außerdem versuchen wir, kreativ zu sein, indem wir zum Beispiel neue Formate ausprobieren, wie unseren Podcast. Wir sind damit einfach ins kalte Wasser gesprungen. Wir wussten nicht, wie man Audio aufnimmt und bearbeitet, aber wir haben recherchiert, einige Workshops besucht und es einfach getan. Wir waren auch keine Videoprofis, wir haben einfach beschlossen, es zu tun. Und jetzt sind wir auf dem Weg, das erste Multimedia- und Multiformat-Medium in Bolivien zu werden.

 

Mit Ihrem Team nutzen Sie die Open-Source-Software Colmena der DW Akademie, waren sogar an der Entwicklung beteiligt. Wie feministisch ist Colmena? 

Colmena ist feministisch, und zwar aus zwei Gründen. Es sind viele Frauen an der Entwicklung von Colmena beteiligt. Wir haben von ihren unterschiedlichen Lebensrealitäten gehört. Colmena ist von Anfang an als sicherer Raum, als Safe Space, gedacht: Keine Diskriminierung, kein Rassismus, kein Machogehabe, keine trans- oder homophoben Haltungen, keine Frauenfeindlichkeit. Wir haben das während des gesamten Prozesses der gemeinsamen Entwicklung der App diskutiert und Regeln für die Nutzung von Colmena aufgestellt. So können wir sicher sein: niemand begegnet uns aggressiv und es gibt keine Hassrede wenn wir mit Colmena arbeiten. Du kannst frei über deine Ideale sprechen und darüber, warum es dir wichtig ist, eine Frau und eine Feministin zu sein. 

Und zweitens: natürlich ist Colmena feministisch wegen unserer Inhalte, die wir mit Hilfe der App produzieren. 

 

Das erste feministische Online-Magazin für digitale Kultur und Unterhaltung aus Bolivien, Muy Waso, wurde 2018 von Michelle Nogales und Mijail Miranda Zapata gegründet. Innovativer, kreativer Journalismus für sozialen Wandel aus einer feministischen Perspektive, hohe journalistische Standards in Recherche und Verifizierung und die Verteidigung der Menschenrechte sind nur einige der Ziele des mittlerweile neunköpfigen Teams. Nach Angaben des Medienunternehmens wird seine Website monatlich mehr als 40.000 Mal besucht, seine Social-Media-Kanäle haben mehr als 20.000 Follower. 

Muy Waso war an der Entwicklung der Open-Source-Software Colmena beteiligt, einer Toolbox für die mobile Medien-Produktion. Die DW Akademie und ihre mexikanische Partnerorganisation REDES A.C. entwickelten die App zusammen mit lokalen und kommunalen Medien aus Lateinamerika und Afrika. 

Das Colmena-Projekt ist Teil der gemeinsamen Initiative „Tranzparenz und Medienfreiheit – Krisenresilienz in der globalen Pandemie“ die vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und der DW Akademie ins Leben gerufen wurde. 

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